Das Bundesverfassungsgericht

03.06.2015 23:52

Das Bundesverfassungsgericht sollte eigentlich über die Einhaltung des Grundgesetzes wachen. Es muss zum Beispiel juristisch interpretieren, was mit der Würde des Menschen vereinbar ist und was nicht. Dieser ungeheuren Verantwortung wird es aber nicht mehr gerecht, die Einhaltung der Grundrechte kann nicht mehr überwacht werden, da das Gericht kaum noch Klagen annimmt. Da das BVG nicht von selbst tätig wird, kann es nur durch eine Klage feststellen, wenn etwas in der BRD mit der Würde des Menschen nicht vereinbar ist. Wo kein Kläger, da kein Richter. Die Klagen sind also wichtig, denn anders wird auf bestimmte Dinge keine Aufmerksamkeit gelenkt und sie können nicht verändert werden.

Aber wie ist das möglich, wenn das BVG fast keine Klagen mehr annimmt? "In den vergangenen Jahren ist die Erfolgsquote etwa auf zwei Prozent geschrumpft. Und im Lichte weiterer Tabellen beträgt die Quote gar nur etwa ein Prozent, wenn man wirklich alle eingegangenen Verfassungsbeschwerden berücksichtigt - also auch jene, die die Mindestanforderungen nicht erfüllen [...]. Ernüchternd ist auch die [...] Prozentzahl der erfolgreichen Bürger, die sich ohne Anwalt an das Verfassungsgericht gewagt haben. Sie tendieren gegen 0,1 Prozent. [...] In der Praxis hat das Gericht in Notwehr gegen seine Überbelastung eine Fülle von strengen, kaum durchschaubaren 'Zulässigkeitvorraussetzungen' entwickelt. Nicht einmal Lehrbücher und Kommentare geben darüber ausreichend Aufschluss; selbst Spitzenanwälte und Rechtsprofessoren scheitern an mancher Forderung des Gerichts." (SZ vom 10.12 04)

Da werden also von den Klageschriften Formalitäten verlangt, die kaum jemand einhalten kann und durch die kaum jemand durchblickt. Und nicht nur das: Das BVG muss mittlerweile nicht einmal mehr eine Begründung für die Ablehnung einer Klage nennen - es kann also einfach alles ablehnen. Die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde galt immer als "Kronjuwel" unseres Grundgesetzes. Aber derzeit kann eine Verletzung unserer Grundrechte noch so gravierend sein - eine Klage wird kaum erfolgreich sein. Trotzdem erfreut sich das BVG nach wie vor ungebrochener Popularität, weil die Bürger immer nur die spektakulären Erfolge von manchen Klagen sehen, wo etwa Politiker in die Schranken gewiesen werden. So war es auch beim Lauschangriff: das BVG entschied, dass das Gesetz verfassungswidrig ist und überarbeitet werden muss. Das haben Koalition und Opposition jeweils getan, doch interessanterweise hat die Union in ihrem neuen Entwurf einfach gegen die vorgegebenen Richtlinien des BVG verstoßen (meinte die SZ vom 15. 6. '05) und dieser Entwurf floss teilweise schließlich in einen Kompromiss mit der SPD ein. Doch kann man gegen diese Nichtbeachtung des BVG nichts tun, denn das BVG hat keine Polizei zur Durchsetzung seiner Urteile. Das BVG ist nur so lange mächtig, wie sich die Politik freiwillig seinen Urteilen fügt.

Von einer Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts kann schon deshalb keine Rede sein, da seine Richterinnen und Richter von Bundestag und Bundesrat eingesetzt werden. Damit sind sie also keine vom Volk direkt gewählten, gegebenenfalls parteilosen obersten Richter und dementsprechend gestalten sie mit ihren Urteilen oft nur die Ziele der aktuellen Politik juristisch aus. Als Beispiel für diese Praxtis sei etwa Richter Gerhard Leibholz genannt, der mit seinen seitenlangen Urteilsbegründungen ganze Wirklinien der Politik gleich mit gestaltete.



Mehr dazu in:
Lindeiner, Fabian von Willkür im Rechtsstaat? Die Willkürkontrolle bei der Verfassungsbeschwerde gegen
Gerichtsentscheidungen. 2002. 259 Seiten, Pp Duncker & Humblot | ISBN: 3428107853

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